Banner Viadrina

Karl Dedecius Stiftung

Studienreise

Danzig / Sopot / Gdynia – Wissenschaft, Kultur und Ökumene in der polnischen Dreistadt an der Ostsee

Studienreise, 25.–29.09.2024

Im September 2024 fand eine weitere Studienfahrt statt: diesmal nach Danzig. Das Motto lautete: Danzig / Sopot / Gdynia – Wissenschaft, Kultur und Ökumene in der polnischen Dreistadt an der Ostsee. Konzept und Programm wurden von drei Projektpartnern entwickelt und umgesetzt: dem Oekumenischen Europa-Centrum Frankfurt (Oder) e. V., der Karl Dedecius Stiftung an der Europa-Universität Viadrina und dem Germanistischen Institut der Universität Danzig. Für die fachlich-inhaltliche Gestaltung der Reise waren Dr. Ilona Czechowska, Dr. Gero Lietz (beide OeC und Europa-Universität Viadrina) sowie Prof. Katarzyna Lukas (Universität Danzig) verantwortlich. Wie in den letzten Jahren war auch die diesjährige Studienfahrt als Bildungsurlaub anerkannt. Die Schirmherrschaft übernahm Cornelia Pieper, deutsche Generalkonsulin in Danzig.

Wie in den vergangenen Jahren war das Programm abwechslungsreich und intensiv. Die Teilnehmer erhielten die einzigartige Gelegenheit, die Dreistadt an der Ostsee (Danzig/Sopot/Gdynia) hautnah zu erleben. Der Weg führte von Frankfurt (Oder) direkt an die Universität Danzig, wo die 40 Personen umfassende Studiengruppe von der Direktorin des dortigen Germanistischen Instituts, Prof. Marion Brandt, erwartet wurde. Nach der Begrüßung durch die in Frankfurt an der Oder geborene Institutsdirektorin standen etliche Kurzvorträge auf dem Programm: Dr. Anna Socka, Leiterin des Lehrstuhls für Deutsche Sprache und Translatorik des Instituts für Germanistik, gewährte den Anwesenden einen Einblick in die Strukturen der Danziger Germanistik. Maximilian Weiß, ab Oktober 2024 neuer DAAD-Lektor in Danzig, erzählte über Sprachlandschaften in Deutschland und Polen. Sein Augenmerk richtete sich auf den Vergleich der Sprachvermittlung – Deutsch in Polen und Polnisch in Deutschland. Danach gab es eine Kostprobe aus der Danziger Forschung: Dr. Dominika Janus sprach vom „Tod in Danzig und den Danziger Leichenpredigten (1586–1746)“, eine beeindruckende Studie und Quellenedition.

 

Nach einer kurzen Kaffeepause war das nächste Thema die Arbeit von Konsulaten. Konsulin Diane Röhrig, Stellvertreterin von Generalkonsulin Cornelia Pieper, und Friedrun Keltsch-Raczka vom Kultur- und Pressereferat nahmen die Gruppe mit auf eine faszinierende und kurzweilige Reise durch die Welt der Diplomatie und der Konsulatsarbeit. Ausgehend von zahlreichen Beispielen aus dem diplomatischen Alltags, gingen sie auch ganz konkret auf den deutsch-polnischen Austausch in Danzig ein. Hervorgehoben wurde die Rolle von NGO-Projekten, zu denen u. a. auch die geplante Rückkehr des Danziger Paramentenschatzes aus Lübeck nach Danzig gehört. Die Reisenden nutzten die Gelegenheit und stellten den Vertreterinnen des deutschen Generalkonsulats zahlreiche Fragen.  

 

Zum Ausklang des Tages waren die Reisenden zu einem Spaziergang mit Danziger Studierenden unter dem Motto „Das multigenerationelle Danzig“ eingeladen: eine wunderbare Gelegenheit, am ersten Abend auf Tuchfühlung mit der Stadt zu gehen.

 

Am nächsten Tag wurden die Gespräche rund um die Danziger Kultur und Geschichte fortgesetzt. Dr. Aneta Kwiatkowska und Stefania Sychta, beide Mitarbeiterinnen der Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften präsentierten ihre Sammlungen, darunter die am Vortag thematisierten Leichenpredigten und andere bibliophile Kostbarkeiten aus dem 17. Jahrhundert. Beeindruckend war auch eine Führung durch die Sammlung ephemerer Drucke. Während des Bibliotheksbesuches kamen einmal mehr die Danziger Studierenden zum Einsatz, die Teile der Vorträge ins Deutsche dolmetschten.

 

Nach dem Besuch in der Bibliothek ging es mit einer Stadtführung weiter. Dr. Anna Kowalewska-Mróz, Mitarbeiterin des Herder-Instituts, führte die Gruppe durch Straßen und Gassen mit historischen Patrizierhäusern, sie sprach von deren Geschichte, Symbolik, ihrer sich stets ändernden Funktion und den wechselnden Besitzern. Auf diese Art und Weise präsentierte sie eine besondere (Literatur- und Kultur-)Geschichte der alten Hansestadt.

 

Am Nachmittag rückten die Kaschuben und das Kaschubische in den Fokus Prof. Miłosława Borzyszkowska, Germanistin und Mitglied des Kaschubischen Instituts in Danzig zeichnete die zwischen den Kulturen stehende kaschubische Landschaft. Themen waren die kaschubischen Grenzen, die Sprachentwicklung des Kaschubischen, die sprachlichen Verbindungen mit dem Sorbischen sowie die Kaschuben als Minderheit. Es wundert nicht, dass an dieser Stelle der Name von Günter Grass immer wieder genannt wurde. 

 

Die ersten zwei Tage der Studienreise waren ereignisreich und zugleich kurzweilig. Aber auch die verbleibenden Tage sollten nicht minder attraktiv sein. Der Freitag begann mit einem Besuch im Europäischen Solidarność-Zentrum (ECS). Am Anfang stand der Besuch der ECS-Dauerausstellung zum Thema „Die Geschichte der Solidarność. Ihr Einfluss auf die Wandlungsprozesse in Ost- und Mitteleuropa“. An diesem Ort kann man in die Geschichte der Solidarność nicht nur eintauchen, sondern kann sie beim „Berühren“ von historischen Fahrzeugen und anderen Gegenständen, beim Anhören von Reden und Zeitzeugenberichten und der Betrachtung von zahlreichen Fotos und Filmdokumenten hautnah erleben. Viele der Reisenden konnten sich an die polnischen Ereignisse der 1980-er Jahre noch lebhaft erinnern und diese mit ihrer eigenen Geschichte in Verbindung bringen. Es wundert nicht, dass das Treffen mit Dr. Jacek Kołtan (wissenschaftlicher Mitarbeiter am ECS), und sein Impulsvortrag zur Solidarność-Bewegung und aktuellen Herausforderungen der politischen Kultur in eine lebhafte und anregende Diskussion mündete.

 

Das weitere Reiseprogramm hielt Begegnungen in der Danziger Stadtgalerie in der Langgasse bereit. Ihre Leiterin, Marta Flakowicz-Szczyrba, führte die Reiseteilnehmer in die Geschichte dieses Gebäudes ein, das im Laufe der Jahrzehnte immer eine wichtige Funktion im sozialen und kulturellen Bereich hatte –zuletzt als Ort, an dem das Projekt „Danzig als Literaturstadt“ umgesetzt wird. Anschließend gab es in der Galerie eine Lesung und Gesprächsrunde mit der Danziger Schriftstellerin Barbara Piórkowska. In ihrem Buch „Szklanka na pająki” („Spinnenglas“) setzt sich die Schriftstellerin mit ihrer eigenen Geschichte in der Zeit der Volksrepublik und des Beginns der Solidarność-Bewegung auseinander. Als Nachbarin von Lech Wałęsa nahm sie die Ereignisse in ganz besonderer Weise wahr. Das Gespräch mit ihr wurde von Prof. Katarzyna Lukas moderiert, die die Organisatoren bei der Vorbereitung der Studienreise von der ersten Stunde an in vielfältiger Weise unterstützte. Durch ihr Netzwerk wurden viele hochinteressante Begegnungen erst möglich. Eigens für die Lesung hatte Gero Lietz Ausschnitte aus dem Roman ins Deutsche übertragen und diese vorgetragen.

 

Nach dieser literarischen Begegnung stand ein Besuch in der Baltischen Philharmonie auf dem Programm. Die Studiengruppe nutzte die Gelegenheit, an einem ganz besonderen Konzert im Rahmen des Internationalen Sweelinck-Orgelwettbewerbs teilzunehmen. An diesem Abend konzertierten einige der Juroren des Wettbewerbs – international renommierte Organisten, die zum Teil auch gemeinsam mit dem Danziger Symphonieorchester musizierten und vom Publikum begeistert gefeiert wurden. Es war ein sehr beeindruckender Abschluss eines an vielseitigen Begegnungen reichen Tages.

 

Der vorletzte Tag der Reise lenkte die Thematik zunächst auf die Geschichte der Emigration. Das Emigrationsmuseum in Gdynia gilt als einzigartiges Museum in ganz Polen. Durch die Geschichte der polnischen Emigranten und Emigration, aber auch der Stadt Gdynia führte Anna Murawska. Nach einer Mittagspause ging es an Bord des Schiffes „Dragon“, wo es bei einer einstündigen Rundfahrt durch den riesigen Hafen von Gdynia vielfältige Informationen sowohl zum zivilen als auch zum militärischen Teil des Hafens gab.

 

Von Gdynia führte der Weg zurück nach Danzig, und zwar in die Marienkirche, wo vor dem mittelalterlichen Dreifaltigkeitsaltar ein deutsch-polnischer ökumenischer Gottesdienst gefeiert wurde, unter Teilnahme von Prälat Ireneusz Bradtke, Superintendent i. R. Christoph Bruckhoff und Pfarrerin i. R. Irene Brockes. Dieser ganz besondere Altar kehrte 2020 aus Berlin an seinen Ursprungsort Danzig zurück, was der langjährigen ökumenischen Zusammenarbeit zwischen der Union Evangelischer Kirchen in der EKD und der katholischen Kirche in Danzig zu verdanken ist. Im Anschluss an die gemeinsame Andacht sprach Prälat Bradtke über die Ökumene und führte der Studiengruppe einen interessanten Film zur Geschichte der Marienkirche vor.

 

Am Sonntag, dem letzten Reisetag, wurde das Thema der Ökumene fortgesetzt – diesmal in Sopot anlässlich eines evangelischen Gottesdienstes in der Erlöserkirche von Sopot, heute des einzigen evangelisch-lutherischen Gotteshauses in der gesamten Dreistadt. Nach dem Gottesdienst, der von Superintendent i. R. Bruckhoff und Pfarrerin i. R. Brockes mitgestaltet wurde, beantwortete Pfarrer Grzegorz Fryda Fragen der Studiengruppe zur Geschichte und Gegenwart der Lutheraner in der Region Danzig und zur Ökumene.

 

Auf der Rückfahrt nach Frankfurt wurde ein Zwischenstopp in Graudenz an der Weichsel eingelegt. Anders als geplant (aufgrund eines nicht vorhersehbaren Staus auf der Autobahn), gab es nur einen kurzen Einblick in die Architektur der Stadt, der jedoch einen Impuls für einen erneuten Besuch der Stadt gab.

 

Die Reise endete gegen 22:00 Uhr in Frankfurt (Oder). Die Mitglieder der Studiengruppe kehrten mit einer Fülle von Eindrücken nach Hause zurück. Lobend hervorgehoben wurden die zahlreichen Begegnungen, die Vermittlung vielfältiger Kenntnisse im akademischen, kulturellen und ökumenischen Bereich sowie die gute Organisation der Reise. Nicht zuletzt leistete das Reiseprojekt in Danzig und Umgebung hervorragende Öffentlichkeitsarbeit für das Oekumenische Europa-Centrum Frankfurt (Oder) e. V. und damit auch für die Stadt Frankfurt (Oder) und die Europa-Universität Viadrina, die als geborene OeC-Mitglieder zentrale Säulen in der wichtigen Begegnungs- und Verständigungsarbeit des OeC darstellen.

 

Ilona Czechowska, Gero Lietz